Am Ende dieses „Freitags für die Zukunft“, am 20. September 2019, haben wir uns abends in der Johanneskirche für ein Klimagebet zusammen gefunden. Schnell war uns klar: Das Gebet kann nur ein Anfang sein; ungeheuer groß, weitreichend und vielschichtig sind die Fragen, die mit der Veränderung des Klimas für uns alle und unsere Welt einhergehen. Als Christen müssen wir versuchen Haltungen und Deutungen zu finden!
So knüpfen wir an diesen Abend an und wollen weiter machen: Im November und Dezember laden wir mittwochs um 19 Uhr an unterschiedlichen Orten in Lichterfelde zu ökumenischen Klima-Gebeten ein. Es ist ein Anfang aus einer kleinen Gruppe heraus. Wir freuen uns über Mitstreiter, über Menschen oder Gruppen jeden Alters, die sich auf den Weg machen, Worte vor Gott zu finden über die rasanten Veränderungen des Klimas.
Wir wissen es längst: Wir leben in einem Zeitalter eines dramatischen Klimawandels. Wir wissen, dass der Mensch zu diesem Klimawandel (zumindest) entscheidend beiträgt. Wir wissen, dass der Klimawandel sich nicht rückgängig machen lässt, aber dass wir – wahrscheinlich – die größten Katastrophen noch abwenden können, dies aber nur, wenn jetzt – und das heißt wirklich: Jetzt! – radikal umgesteuert wird. Denn wir wissen auch, dass irgendwann Kipppunkte erreicht sind, und dass von diesem Zeitpunkt an auch das Ziehen der Notbremse nicht mehr helfen wird. Nur: Wann genau diese Kipppunkte erreicht sind, wissen wir nicht. Wir kennen auch – in groben Zügen – die Folgen des Klimawandels, wenn wir fortfahren wie bisher. Auf das Ausmalen der Schreckenszenarien von Hochwasser, Dürre, Wasser- und Lebensmittelknappheit, im Meer versinkenden Inseln und Küstenregionen, gigantischen Flüchtlingsströmen, wachsender Wahrscheinlichkeit von Kriegen um knapper werdende Ressourcen will ich hier verzichten. Denn wir wissen das alles ohnehin längst, im Grunde seit Jahrzehnten.
Warum ist bis heute so wenig geschehen? Warum scheint, was sich da nicht erst anbahnt, sondern schon im vollen Gange ist, erst jetzt wirklich in unser Bewusstsein zu dringen? Erst jetzt – spätestens seitdem die Öffentlichkeit von den Protesten der Fridays-For-Future-Bewegung Kenntnis nimmt – beginnen wir wirklich zu realisieren, was die Stunde geschlagen hat: Dass es hier nicht um die Lebensbedingungen der Menschheit in einer fernen Zukunft geht, sondern um die Frage, in welchem Zustand wir die Erde unseren Kindern und Enkeln überlassen, und unter welchen Umständen unsere Kinder und Enkel auf dieser Erde werden leben können. Gleichzeitig beginnen wir zu realisieren, dass hier auch unsere eigene Lebensbilanz auf dem Spiel steht.
„Wir sind hier, wir sind laut, weil Ihr uns die Zukunft klaut“ rufen die Jugendlichen völlig zu Recht. (Wer heute Mittag am Brandenburger Tor war, hat es wieder hören können.) Und in dieser Situation, könnte man fragen, fällt uns nichts Besseres ein als Andacht und Gebet? Verhalten wir uns damit nicht wie jemand, der mit Vollgas auf eine Mauer zurast und sich – anstatt endlich auf die Bremse zu steigen – zurücklehnt, die Augen schließt und wünscht, ein anderer möge für ihn das Problem lösen, dessen Ursache er selber ist, also auf die Bremse treten oder die Wand wegzaubern?
Nein, das kann unsere Antwort nicht sein, und das ist auch nicht das, was wir unter Beten verstehen. „Gebete verändern die Welt nicht“, hat Albert Schweitzer formuliert, „Gebete verändern den Beter, und Beter verändern die Welt“. Unsere Hoffnung ist, dass Beten hilft. Dass es hilft, Blockaden zu lösen, die uns an einem wirksamen und verantwortungsbewussten Handeln hindern. Das Gebet zu Gott als dem Schöpfer und Herren der sichtbaren und der unsichtbaren Welt, die Ausrichtung unseres Denkens und Fühlens, aber auch unseres Handelns auf ihn, kann uns – so wollen wir hoffen – helfen, indem es uns von dem Irrglauben unserer Allmacht befreit, der einem wirklich ver- antwortungsbewussten Umgang mit der uns anvertrauten Schöpfung entgegensteht; uns aus der Erstarrung in Hoffnungslosigkeit angesichts des überwältigenden Gewichts der Aufgabe löst; uns aus der Lethargie herausreißt, mit der wir immer wieder nur beobachtend neben den Dingen stehen, und in uns den Mut zum Handeln wachsen lässt: Dazu, uns zur Verteidigung des unermesslich großen Wunders der Schöpfung vernehmbar und eindeutig zu äußern, und auch mit unserer eigenen Lebensführung dazu einen Beitrag zu leisten, so geringfügig er sein möge.
In diesem Sinne war Beten vielleicht nie aktueller und notwendiger als heute.
Gedanken von Michael Börgers (geteilt mit uns im Klimagebet am 20. September 2019)